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Benjamin Heller: DINGE, DIE BLEIBEN
In «DINGE, DIE BLEIBEN» begeben sich die Bühnenschaffenden Benjamin Heller, Naïma Heim, Benjamin Pogonatos und Annette von Goumoëns auf die Suche nach den Spuren, welche ihre Grosseltern in ihrem Leben hinterlassen haben. In ihrem persönlichen Archiv entdecken sie eine Unzahl an Geschichten, Berührungen, Gerüchen und Düften. Sie stellen sich dem Unbehagen gegenüber dem Älterwerden und der Auseinandersetzung mit dem Tod, begegnen Familienmodellen und ihren eigenen Wünschen, Hoffnungen, Sehnsüchten und immer wieder der Liebe. Was aus der Erinnerung geborgen wird, wird sich mit ihnen die Bühne teilen: Die Grosseltern werden zum Spiegel, in dem wir sehen, wer wir waren, wer wir sind und vielleicht auch, wer wir sein werden, wenn wir einmal selbst alt oder sogar nicht mehr sind.
Dinge, die bleiben wird vom 27. – 30. November im Südpol Luzern gezeigt. Am Sonntag, 30.11 findet anschliessend zur Vorstellung ein Publikumsformat mit den Künstler*innen statt.
Im Gespräch mit Benjamin Heller.
Wie hat sich dein Team für diese Produktion zusammengefunden?
Stephan Q. Eberhard und ich haben die Grundidee dieses Stücks im Rahmen der Tankstelle Bühne 2023 entwickelt und aufgeführt. Es war geplant, das Stück gemeinsam weiterzuführen und wir haben weitere Menschen für funktionsspezifische Aufgaben angefragt, also Naïma für die Bühne, Ben für den Sound und Anette für die Produktionsleitung.
Doch dann ist Stephan gestorben. Dieser Verlust hat uns als Team vor grosse Fragezeichen gestellt – ob wir weiterfahren wollen und falls ja, wie? Stephan zu «ersetzen», stand für uns nicht zur Debatte. Stattdessen haben wir uns für eine kollektive Auseinandersetzung auf der Bühne entschieden, was sich für uns sehr stimmig anfühlt. Während anfänglich die Geschichten und Beziehungen zweier Personen zu ihren Grosseltern im Zentrum standen, sind es nun viele mehr. Das macht das Stück diverser und vielschichtiger. Es geht um Spuren, die bleiben – schöne und liebevolle, aber auch solche, die andere Gefühle auslösen.
Du hast dich schon früh mit deinen Grosseltern auseinandergesetzt und über einen Zeitraum von 10 Jahren Gespräche mit ihnen aufgezeichnet.
Was war der ursprüngliche Gedanke hinter diesen Aufzeichnungen?
Angefangen hat alles mit der Demenzerkrankung meines Grossvaters. Er verstummte zunehmend, primär aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Mir war es wichtig, ihn wieder mehr «spüren» und ihm zuhören zu können, also fing ich an, ihn über seine Kindheit zu befragen – ein Themengebiet, über das er ungeniert sprechen konnte. Mit der Zeit wurde auch meine Grossmutter Teil der Gespräche, während sich in ihren Leben viel veränderte: Einzug ins Altersheim, Fortschreiten der Demenzerkrankung, die damit verbundene Veränderung der Beziehung und gleichzeitig der Halt, der diese Beziehung beiden gab. Themen wie Abschied und die Auseinandersetzung mit dem Tod rückten zunehmend in den Fokus der Gespräche, die sich mit dem Tod meines Grossvaters wiederum veränderten. Trauer, diese entsetzliche Lücke, aber auch Freiheit wurden wichtig.
Wie kam dir die Idee zu diesem Stück und warum ist es dir wichtig, das mit der Öffentlichkeit zu teilen?
Als ich die Audioaufzeichnungen nach dem Tod beider Grosseltern wieder anhörte, wurde mir bewusst, dass diese Gespräche auch sehr stark um mich gehen. Ohne es zu realisieren, stellte ich ihnen die Fragen, die mich persönlich beschäftigten. Was bedeutet Liebe? Wie geht ihr mit Zweifel um? Was gibt euch Halt? Trotz sehr gegensätzlicher Lebensentwürfe, wurden meine Grosseltern für mich zum Gegenüber, um über grundlegende Fragen nachzudenken. Und das ist es, was wir mit «Dinge, die bleiben» auch tun möchten: Ausgehend von unseren Grosseltern auch uns selbst neu begreifen. Wo in den Leben unserer Grosseltern finden wir uns wieder? Wo distanzieren wir uns? Wie setzen wir uns mit unserer Endlichkeit auseinander? Was soll von uns bleiben?
Alle haben Grosseltern, egal wie unsere Beziehung zu ihnen ist. Auch wenn wir sie nicht kannten – sie sind Teil unseres Lebens. Und es ist sehr spannend sich bewusst zu werden, was das mit einem macht. Im Prozess haben wir zudem entdeckt, wie kraftvoll es ist, Erinnerungen miteinander zu teilen. Eine Erinnerung weckt bei einer anderen Person eine weitere auf, und so entsteht ein gemeinsamer Raum, der eine Verbundenheit schafft. Erinnerung wird so zum Instrument, um mit Verlust und Abschied umzugehen – und auch das möchten wir mit dem Stück vorschlagen.
Wie war es, ein so persönliches Thema im Kollektiv zu bearbeiten?
Ich glaube wir haben es geschafft, mit dieser Gruppe einen Raum zu kreieren, in welchem wir persönliches miteinander teilen, uns darüber austauschen und Sachen ausprobieren können. In einem zweiten Schritt überlegen wir dann, was davon auch auf die Bühne passt und mit dem Publikum geteilt werden kann.
Wir alle haben Erinnerungen – ein gleiches Erlebnis sieht als Erinnerung bei mir aber anders aus als bei meinem Bruder.
Wie seid ihr damit umgegangen, dass Erinnerungen auch immer individuelle Konstruktionen sind?
Bei uns kann zum Glück niemand die Erinnerung der anderen Person überprüfen, das hilft vielleicht (lacht). Aber wir versuchen schon mit der Erinnerung so umzugehen, dass sie auch eine subjektive Konstruktion sein darf. Wir starten beispielsweise das Stück mit einer Art Installation und versuchen, dieses verträumte, manchmal auch gespenstige, was Erinnerungen an sich haben, aufzugreifen und künstlerisch miteinzuweben.
Was sind Schlüsselerkenntnisse, die ihr bisher durch die Recherche, die Proben und den Austausch untereinander gewonnen habt?
Ich hatte mehrere solcher Momente. Einerseits die Erkenntnis des Spiegels durch die Gespräche mit meinen Grosseltern. Andererseits auch der Tod von Stephan. Wir beschäftigen uns im Stück mit Verlust und wie man damit umgeht, und dann verliert man einen Menschen, der zum Team gehörte. Dieser Verlust gab diesem Stück jedoch mehr Relevanz, als dass er diese abgeschwächt hätte. Es geht darum zu merken: Wenn jemand nicht mehr da ist, können und dürfen wir uns erinnern. Diese Erinnerungen setzen dieser Leerstelle, die bei einem Verlust entsteht, etwas entgegen. Es ist eine Vergegenwärtigung.
Wir haben im Rechercheprozess auch mit Fragebogen zu unseren Grosseltern gearbeitet – und da wurden viele Aspekte und Erkenntnisse sichtbar, was eine Beziehung ausmacht. Jede Beziehung hat Alleinstellungsmerkmale.
Gab es Fragen, von denen ihr euch anfangs erhofft habt, sie beantworten zu können, die aber unbeantwortet blieben?
Mhm. Ich glaube dadurch, dass wir alles sehr subjektiv anschauen, haben wir eine gewisse Freiheit im Umgang mit Fragen. Wir bieten persönliche Antworten an und vertrauen darauf, dass sich das Publikum hier und da darin selbst wiedererkennen kann. Primär möchten wir mit unseren Antworten aber bewirken, dass sich das Publikum die Fragen selbst stellt und sich auf die Suche nach den eigenen Antworten macht.
Was ist mit Menschen im Publikum, die bisher keinen Kontakt oder eine Beziehung mit ihren Grosseltern hatten, oder sie gar nicht kennen?
Wir nehmen unsere Grosseltern als Ausgangslage: es ist eine familiäre Bindung da, es sind die Eltern unserer Eltern, das ist schon eine spezifische Beziehung. Aber wir möchten mit dem Stück auch gerade den Familienbegriff öffnen und das Publikum dazu einladen, über generationenübergreifende Beziehungen nachzudenken, auch ausserhalb des familiären Konstrukts. Und wir stellen ausgehend von unseren Grosseltern Fragen, die weit über Familie hinausgehen.
Was ausser bleiben kann Erinnerung noch?
Sie kann geteilt werden und darin Verbundenheit schaffen. Sie kann Dinge vergegenwärtigen. Sie kann ein Umgang mit einer entstandenen Lücke sein, ohne die Lücke zu füllen oder aufzulösen.