On Südpol

Tankstelle Bühne 2025: “What’s the Opposite of Penetration?”

Di, 22.04.2025
Von Südpol Kommunikation

Fotocredits: Anja Bieri

Im Gespräch mit Laura Jana Luterbach und Naira Ramos

 

Wer seid ihr, was ist euer künstlerischer Background?

Ich bin Naira, Künstlerin und gerne auch mal Kunstpädagogin. Ich komme aus Luzern, habe in Hamburg meinen Bachelor in Expressive Arts in Social Transformation gemacht und dann in Luzern meinen Master in Fine Arts – Art Teaching absolviert. Mein Background liegt in der Performancekunst und in der bildenden Kunst. In meiner Arbeit befasse ich mich intensiv mit dem weiblich gelesenen Körper, seinen Zuschreibungen und der Frage nach Selbstermächtigung.

Ich bin Laura, bin Künstlerin und Pflegefachfrau und lebe in Luzern. Meinen Bachelor in „Kunst und Vermittlung“ habe ich an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern mit einem Auslandsemester an der Kunstuniversität Linz studiert. Meine künstlerische Praxis ist geprägt von facettenreichen Medien und einem unmittelbaren, emotionalen kreativen Impuls, der oft intuitiv entsteht und anschliessend intellektuell reflektiert wird. In meiner Kunst beschäftige ich mich mit Fragen unserer Existenz, dem Magisch-Absurden, mit kollektiven Fragen der Menschheit, mit Feminismus und allem, was mich halt innerlich bewegt.

 

Ihr wart hier für die Proben des Projekts «What is the Opposite of Penetration?» hier bei uns im Südpol in Residenz. Wie sah euer Tag während einer Residenz bei uns aus / habt ihr Rituale vor solchen Probetagen? 

Unsere Residenztage im Südpol starten meistens – ganz unspektakulär – mit einem weckenden Kaffee. Während wir schlürfen, checken wir beieinander ein: Wie fühlst du dich? Was brauchst du heute? Und wie wollen wir in den Tag starten?

Dann wird’s körperlich: Wir werfen eine Playlist an und tanzen uns einmal quer durch unsere Stimmungslage, immer mit dem Ziel, im Raum und im Körper anzukommen. So wärmen wir uns auf, schütteln den Alltag ab und kommen mit vollem Körpereinsatz in unserem Projekt an.

Erst dann beginnt die eigentliche Arbeit: Wir tauchen stundenlang ein in Körperpolitiken, Materialien und szenische Bildwelten. Unsere Köpfe sind voller Ideen und visueller Konzepte, die nur darauf warten, auf der Bühne szenisch umgesetzt zu werden. Wir probieren die Szenen aus, filmen uns dabei oder beobachten einander, um besser zu verstehen, wie sie gegen aussen wirken. Da wir beide aus der bildenden Kunst kommen, ist das Experimentieren mit Materialien ein zentraler Bestandteil unseres Prozesses – wir lassen uns von ihnen leiten, was manchmal zu unerwarteten und überraschenden Bühneninstallationen führt. Zur Orientierung liegen überall auf dem Boden sortierte Post-it-Zettel – kleine szenische Inseln, die unsere Ideen, Abläufe und Gedankenstruktur sichtbar machen.

 

Euer Projekt widmet sich einem vieler Themen, dessen Ursprung dem Konstrukt des patriarchalen Systems entspringt. Was oder Wer war die Motivation und Inspiration, genau dieses Thema zu wählen, und was ist «The Opposite of Penetration»?

Zu Beginn war es für uns klar, dass wir zusammenarbeiten wollten. Das Thema war zu diesem Zeitpunkt noch offen. An einem Sommertag setzten wir uns zusammen und begannen, über Themen nachzudenken, die uns interessieren und sich überschneiden. Dabei kamen wir ziemlich schnell auf die Frage: Was ist das Gegenteil von Penetration? Wir haben zusammen stundenlang das Internet durchforstet und mussten in der ersten Recherchezeit feststellen, dass es darauf keine konkrete Antwort gibt. Ziemlich erschreckend, oder?  Dies zeigte uns, wie tief verwurzelt das patriarchale System in unserer Gesellschaft ist, dass solche Fragen entweder gar nicht gestellt werden oder sie völlig unreflektiert lässt. Uns war sofort klar, dass es für uns enorm wichtig ist, eine Antwort auf die Frage nach dem Gegenstück zur Penetration zu finden – und daraus ein Stück zu entwickeln. Ein Thema, das in unserer Gesellschaft bisher kaum sichtbar oder benennbar ist. Erst später hörten wir zufällig durch die Jury der Tankstelle Bühne das von Bini Adamczak 2016 geprägte Wort: Circlusion!

 

Was erhofft ihr euch dem Publikum mit eurer Performance mitgegeben zu haben, was ist euch dabei wichtig?

Wir wünschen uns, dass das Publikum nach unserer Performance weiss, was Circlusion bedeutet. Uns ist wichtig, diesem oft übersehenen Konzept Sichtbarkeit und Präsenz zu geben, es ins kollektive Bewusstsein zu holen. Toll wäre es, wenn das Publikum Circlusion nicht nur versteht, sondern das Wort künftig ganz selbstverständlich im Alltag verwendet – denn Sprache prägt unsere Wahrnehmung und beeinflusst, wie wir die Welt denken. Ein weiteres zentrales Anliegen ist es, mit festgefahrenen und oft absurden Vorstellungen aufzuräumen – etwa der Idee, dass Penetration automatisch mit Macht und Aktivität verbunden ist, während Circlusion als passiv, schwach und somit gesellschaftlich unsichtbar gilt. Diese einseitigen Zuschreibungen sind nicht nur falsch, sondern auch tief in patriarchalen Strukturen verankert. Wir möchten, dass die Zuschauer*innen sich nicht nur unterhalten fühlen, sondern gemeinsam mit uns veraltete patriarchale Denkmuster hinterfragen und loslassen – und sich dabei inspiriert fühlen, über alternative Vorstellungen von Intimität, Macht und Körperlichkeit nachzudenken.
Auch denken wir dabei die Begriffe Penetration und Circlusion bewusst jenseits von Geschlechtergrenzen. Penetration und Circlusion sind keine festen Rollen, die an bestimmte Körper oder Identitäten gebunden sind – im Gegenteil: Alle können penetrieren oder circludieren – und zwar mit ganz unterschiedlichen Körperteilen! Wir möchten mit unserer Performance neue Denk- und Handlungsräume öffnen, in denen Hierarchien hinterfragt und Körper neu gelesen werden können.

 

Machen die Meinungen der Menschen etwas mit euch, die mit der Thematisierung solcher Fragen oder der Performance dazu nichts anfangen können, habt ihr einen Weg gefunden, dem entgegenzuwirken?

Tatsächlich sind wir bisher vor allem auf grosses Interesse und viel Unterstützung für dieses Thema gestossen. Aber auch Meinungen von Menschen, die mit unserem Thema oder unserer Performance wenig anfangen können, sind willkommen. Wir sehen darin weniger eine Ablehnung als vielmehr eine Einladung zum Dialog. Oft liegt hinter dem Unverständnis einfach fehlendes Wissen oder Unsicherheit im Umgang mit ungewohnten Perspektiven. Wir begegnen solchen Meinungen mit Offenheit – und auch mit dem Glauben daran, dass Reibung produktiv sein kann. Unser Ziel ist es nicht, zu überzeugen, sondern zu irritieren, anzustoßen und Neugier zu wecken. Wenn jemand nach der Vorstellung verwirrt ist, Fragen stellt oder vielleicht sogar wütend wird, dann ist etwas in Bewegung geraten. Und genau dort beginnt für uns der erwünschte, produktive Prozess.

 

Was wünscht ihr euch als Teil der jungen, lokalen Nachwuchsszene – für euch selbst und für andere?

Bei Tankstelle Bühne haben wir das grosse Glück, dass wir hervorragende Proberäumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen und in Ruhe an unserem Projekt forschen können. Leider ist die Situation ausserhalb von Nachwuchsförderungsprogrammen oft deutlich herausfordernder. Wir brauchen kostengünstige oder im besten Fall sogar kostenfreie Zugänge zu Proberäumen, in denen man sich ausprobieren, experimentieren, scheitern und entwickeln kann. Das Projekt Darstellende Künste Pavillon in Luzern war ein sehr wertvoller Ansatz in diese Richtung und hat gezeigt, wie wichtig solche Angebote sind. Leider mussten diese Räumlichkeiten wieder vorerst schliessen.

 

Wo seht ihr Verbesserungspotential im Sinn der Förderung von lokalem Nachwuchs?

Als Teil der jungen, lokalen Nachwuchsszene wünschen wir uns langfristige Förderstrukturen, die Planungssicherheit bieten und den kreativen Prozess nachhaltig unterstützen. Es ist wichtig, dass Künstler*innen nicht nur punktuell, sondern kontinuierlich die Möglichkeit erhalten, ihre Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Diese Stabilität fördert nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern stärkt auch das gesamte lokale Kunstumfeld.

Auf Seite der Förderinstitutionen wünschen wir uns mehr Mut, jungen Positionen zu vertrauen und sie zu unterstützen – auch (oder gerade) dann, wenn die Projekte (zu) gross gedacht, unbequem oder noch unfertig sind. Nachwuchskünstler*innen mögen in manchem noch unerfahren oder naiv wirken, doch genau darin liegt ihre Stärke: Sie bringen eine enorme Motivation, frische Perspektiven und eine grosse Lust am Experimentieren mit – ungebremst von Routine oder Abgeklärtheit. Und genau aus dieser Energie entstehen oft die mutigsten, kraftvollsten und überraschendsten Theater-, Tanz- und Performancearbeiten.

 

Gibt es noch etwas, was ihr unbedingt loswerden wollt?

Ja, wir möchten unbedingt noch unseren Dank aussprechen: Ein herzliches Dankeschön an Tankstelle Bühne und deren Kooperationspartner – Südpol Luzern, Theater im Burgbachkeller Zug und Chäslager Stans. Ohne deren Unterstützung wäre sehr vieles nicht möglich gewesen! Ausserdem möchten wir Nele herzlich danken, die als Outside Eye bei uns dabei ist. Ihre wertvollen Beiträge regen immer wieder zum Reflektieren an und bereichern unseren kreativen Prozess ungemein.